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Das Tal der Unsterblichen

Ein Seher macht sich auf die Suche nach den unsterblichen Meistern, die es in einem Tal im Himalaja geben soll. Und in dem Aaravindha Himadra in einer vorigen Reinkarnation gelebt hat.

Mit einem Handschwung deutete Meister Amir zum Tal und sagte: „Was du vor dir siehst, ist Devodyana, der Wald der frühen Seelen, die Heimat der Nachkommen der Sonne. Der Boden, auf dem du stehst, ist der Ort, an dem einst der Mahattara Amamriprabhu, der Älteste unserer Tradition, zum ersten Mal seinen Blick über dieses Land hat schweifen lassen und sich hier Amar-pura vorstellte – unser Zuhause.“
„Mahattara Amamriprabhu?“, fragte ich.
„Ja – Mahashaya Pitamah, der Großvater!“, sagte er.
Ich fragte Amir, ob diese Leute hier geboren oder später von irgendwo anders hergekommen seien. Er sagte, dass fast alle hier lebenden Menschen Einheimische seien. Nur wenige würden jemals hierher eingeladen.
„Hierher eingeladen zu werden“, sprach er, „ist die Folge von sehr gutem Karma.“
Wir überquerten eine kleine Brücke, auf der Amir innehielt und seine Augen schloss, als würde er genussvoll etwas in sich aufnehmen. „Dieser Wind, den du über deine Haut streifen fühlst, ist Atmasani. Er ist reich an Lebenskraft. Das Wasser, das unter uns fließt, ist heilig. Es ist Tiryodaka. Ein Segen für alle, die es trinken oder berühren. Amarpura ist ein unbeflecktes Land: Keine Form von Gewalt wurde hier je verübt. Eine heilige, natürliche Ordnung wurde hier auf diesem Flecken Erde für Jahrtausende von unserer Linie behütet und bewahrt.“
„Wir sind also nun angekommen?“, fragte ich. „Ja. Drei von ihnen sind gekommen, um dich zu begrüßen.“ „Vier Meister leben hier also?“
„Fünf leben in Amarpura. Und ein weiterer – der Älteste – residiert am Fuße jenes Berges.“ Er zeigte stromaufwärts auf einen mit feinem Nebel überzogenen und hoch aufragenden schneebedeckten Gipfel.

In dem Augenblick, als ich ihm ins Gesicht sah, wusste ich, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Sein Blick war direkt und sicher und strahlte ebenso ruhige Zuversicht aus wie ein mitfühlender Vertrauter. Sein silbrig weißes Haar fiel in vielschichtigen seidigen Wellen auf seine Schultern. Seine Augenbrauen stachen buschig hervor und sein Gesicht hatte markant geschnittene Züge.
In klarem östlich gefärbten Englisch sagte er: „Mein lieber Aaravindha, dies ist ein glücklicher und lang erwarteter Moment. Ich bin voller Freude, dass du endlich hier bist.“
„Meister Rambala?“, sagte ich unsicher. „… Liege ich richtig damit, dass du es bist?“
Er zögerte mit der Antwort und musterte mich stattdessen mit einem deutlich anerkennenden Blick. „Könnte es sein, dass du immer noch mein Gesicht erkennst?“, fragte er.
„Das tue ich!“, antwortete ich. „Ich bin mir sicher! Aber es war Meister Amir, der mir deinen Namen genannt hat.“
„Es gab eine Zeit, in der er dir wohlbekannt war.“ Er fügte an: „Ich habe deine Reise durch drei Lebenszeiten mit Interesse verfolgt. Du hast dein Versprechen nun erfüllt.“
„Mein Versprechen?“
„Du hast mir vor langer Zeit versprochen, dass du wiederkehren würdest. Eine schwierige Aufgabe und eine seltene Leistung. Viele haben sich auf die Suche begeben, aber nur wenige haben uns gefunden.“
Die Vorstellung dreier Lebenszeiten offenbarte mir einmal mehr, wer diese Wesen wirklich waren. Ich versuchte, mir vorzustellen, so lange am Leben zu sein. Wie es wohl sein mochte, Generationen vergehen zu sehen und zu beobachten, wie geliebte Menschen sterben und mit neuen Gesichtern wiedergeboren werden? Und dennoch wirkte er nicht älter als ein jung aussehender 60jähriger.

Er kam näher und legte seine Hand fest auf meine Schulter. Seine Berührung setzte einen eigenartigen Gefühlssturm in Gang, der durch meinen Körper strömte. In dem Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, flutete ein angenehmes goldenes Gefühl durch meine Gedanken. Nacheinander begannen die Bruchstücke dessen, was ich einst über dieses Tal wusste, durch meinen Geist zu strömen. Was hervorkam, war mein vergangenes Leben als junger Mann, in dem ich genau an dieser Stelle gestanden hatte. Meister Rambalas Gesicht hatte ein wenig jünger ausgesehen, wenn auch nicht viel. Ich hörte mich, wie ich ihn bat, meine Gründe für das Verlassen des Tals zu akzeptieren, und ihm versicherte, eines Tages wiederzukommen. Drei Tode und drei Geburten – ein voller Kreis hatte sich geschlossen.
Lesen Sie mehr in unserem ENGELmagazin Januar/ Februar 2016.

Über den Autor

Über den Autor

Seit 1999 wirkt Aaravindha Himadra international als spiritueller Lehrer. Derzeit unterrichtet er in Vorträgen und Seminaren hauptsächlich in Europa, den Vereinigten Staaten und Kanada. Im Jahr 2006 rief er Sambodha ins Leben, eine internationale, konfessionslose spirituelle Organisation, deren Ziel es ist, die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins sowie die Selbstrealisation zu fördern. Die Werkzeuge auf diesem Weg sind die Kunst des Mitgefühls, spirituelles Wissen, das den Menschen in Einklang mit seinem individuellen Dharma bringt, sowie fortgeschrittene Meditationstechniken und selbstloser Dienst.
www.sambodha.org

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