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Reiseziel Herz

Gerüstet mit der Zuversicht und Stärke dieser außergewöhnlichen Frau. Im Vertrauen, dass sich wieder einmal alles fügen würde. Und es fügte sich, musste sich einfach fügen, bei so viel Kraft! Sie setzte den nächsten Schritt in die Luft. Und die trug sie, wie Janice Jakait schreibt.

Was passiert, wenn man alle Sicherheiten loslässt, wirklich auf die Fügung und Bestimmung vertraut und sich selbst begegnet?

Um das herauszufinden, ließ ich 2018 alles los und lebte für fünfzehn Monate ohne geregeltes Einkommen. Es verging keine Woche, in der ich wirklich wusste, wie ich im nächsten Monat die Miete zahlen soll. Geschweige denn Lebensmittel, Krankenversicherung und alles andere. Ich wollte mich meiner größten Angst stellen, der Angst, alles zu verlieren.

Es würde sich schon fügen, darauf vertraute ich. Und es fügte sich! Ich war müde davon, mir um alles Gedanken zu machen, alles verkrampft zu kontrollieren; mein ganzes Leben lang hatte ich das getan. Was hatte ich schon zu verlieren, als meine Gewohnheiten, Sicherheiten und materielle Dinge, die mir ohnehin jeden weiteren Tag zur größeren Lasten wurden?! Dabei schien es aber auch, als könnte ich viel mehr von mir selbst finden. Dieses Abenteuer begann für mich im Besonderen mit einem Zitat der Heidelberger Lyrikerin Hilde Domin. Sie hatte es sich noch auf die Grabplatte meißeln lassen, so wichtig schien es ihr selbst. Es lautet: „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“

Wann immer ich losgelassen habe im Leben, komplett, da geschah Unglaubliches, da öffneten sich unerwartete Türen, da geschahen sogar Wunder. Warum also nicht auch diesmal?! Was ist denn die Natur eines Wunders, außer dass es etwas völlig Unerwartetes und Überraschendes ist. Aber sowas kann nur geschehen, wenn man aufhört zu wissen, zu erwarten und zu planen. „Wer über das Meer will, der muss den sicheren Hafen verlassen“, heißt es. Und natürlich widerspricht das Loslassen und Vertrauen jeder Logik, denn alles hat doch angeblich einen Preis. Ohne Mühe und Anstrengung gibt es keinen Frieden, keine Erfüllung, keinen Erfolg – das jedenfalls haben wir doch von Kindesbeinen an in den Kopf gepflanzt bekommen. Und man braucht doch Ziele und Aufgaben und kann nicht einfach alles geschehen lassen und seinen Frieden damit machen, um darauf zu hoffen, dass uns schon finden wird, was zu uns gehört. Immer braucht es eine Karotte vor der Nase – und die Angst schwingt hinter uns die Peitsche. Doch dass Frieden und Glück einen Preis haben, das ist ein Märchen! Sie sind bedingungslos!

Also ließ ich alles los und vertraute, eben so, wie ich es damals auf dem Meer getan hatte, als ich allein drei Monate über den Atlantik gerudert war. Da legte ich irgendwann, inmitten haushoher Wellen, mein seekrankes Schicksal ebenfalls in die Hände einer höheren Macht. Und was ich dann erlebte, das lässt sich nicht wirklich in Worte packen. Es überstieg alles; die Momente waren so „heilig“, ganz gleich wie heftig der Sturm draußen tobte, in mir war Frieden!

Nun, was haben mir diese fünfzehn Monate beigebracht, was hat mir das Leben bisher mitgegeben?

Wenn wir auf unserem Weg unterwegs sind, dann bekommen wir immer die Zeit, die wir brauchen, und wir bekommen alles, was wir zum Leben haben müssen. Alles findet zu uns, wenn wir es zulassen! Und schlief da nicht auch Jesus seelenruhig im Sturm auf der aufgebrachten See, während seine Apostel um ihr Leben fürchteten. „Ist eurer Vertrauen, euer Glaube denn so schwach?“, entgegnete er ihnen. Und so ist jeder Sturm im Leben doch immer auch eine Prüfung und eine Stufe, die wir emporsteigen können.

Um in diesen Fluss zu gelangen, der uns auch entgegenkommt, dazu müssen wir im absoluten Vertrauen stehen und eben auf unserem ureigenen Weg. Und diesen Weg erspürt nur das Gefühl, nur das Herz. Und im Gegensatz zur Sicherheit, zur Gewissheit und zur Hoffnung, wächst wahres Vertrauen an jeder Krise und in jeder Prüfung. Man muss vertrauen, um loslassen zu können – man muss aber auch loslassen, um Vertrauen zu können. Alles was es dazu braucht, ist Mut!

Und selbst wenn es nicht weiterzugehen scheint, und alles verloren gegeben ist, geht eben doch eine neue Tür irgendwo auf, und da ist wieder ein Weg dann. Unerwartet, und das macht ihn dann oft zum Wunder eben. Das ist alles. Vertrauen ist Frieden … ganz gleich, was passiert – Frieden ist eine Frage der Einstellung, nicht der Umstände. Die Umstände werden niemals nur befriedet sein.

Zudem zwang mich diese Zeit nun dazu – mehr noch als die Zeit auf dem Ozean – , meine Augen zu öffnen, und den Sinn des Lebens noch einmal grundlegend zu hinterfragen. Wozu sind wir wirklich hier? Ich habe ohne Zweifel erkannt, für mich jedenfalls, und da muss niemand zustimmen, dass diese Welt ein einziges großes Theater geworden ist. Und dass es dieses Theater nur braucht, weil der Mensch nicht mehr im Augenblick verweilen kann. Er irrt umher, braucht stets Ziele und Aufgaben; hängt in Hamsterrädern und Routinen fest, ist immer beschäftigt – entweder damit, sich ans Alte zu klammern oder mit der ewigen Veränderung. Und selten ist er allein – es sei denn, er ist ausgebrannt oder beziehungsgeschädigt. Und was heißt es überhaupt, mit anderen zusammen zu sein?

Auch diese Frage fand eine neue Antwort. Liebe ist weit mehr als Partnerschaft oder Beziehung, mehr als romantisches Kino. Liebe ist nichts anderes, als völlige Offenheit und Gegenwärtigkeit! Es ist schön, wenn uns ein anderer Mensch in diesen Raum bringt, doch letztlich sind wir immer an diesem Ort, dazu müssen wir einfach nur stehenbleiben und uns umschauen, ganz bei uns sein, präsent sein – dann können wir auch erst wirklich bei anderen sein, sind offen, berührbar, verbunden. Und eben auch verletzbar, das gehört dazu, sonst kann nichts unser Herz mehr berühren. Dieser Ort ist unsere wahre Heimat. Und dann erscheint einem alles wirklich verbunden, und man ist verbunden mit allem. So kitschig das klingt, doch im Augenblick völliger Gegenwärtigkeit, wenn die Gedanken schweigen, da ist alles wirklich eins. Und dieses eine, dies ist das wahre spirituelle Herz, das wahre „Selbst“, in das man dann hineinblickt … und aus ihm heraus. Nur dort begegnet man sich wirklich selbst und anderen Menschen. Nur dort sind Liebe und Mitgefühl zu Hause. Dort reagiert kein Ego, denn dort wohnt die Demut und Verbundenheit.

 

Den ganzen Artikel, liest du im aktuellen ENGELmagazin Januar/Februar 2020.

 

Über die Autorin

Über die Autorin

ENGELmagazin Autorin Janice JakaitJanice Jakait, Jahrgang 1977, lebt in Heidelberg. In ihren beiden Bestellern »Tosende Stille« und »Freut euch nicht zu spät« und in über 100 Interviews und Vorträgen berichtete sie von ihren Reisen zurück zu sich selbst – in einem Ruderboot allein, monatelang über einen Ozean, und dann, wieder an Land, durch die Tiefen ihrer Seele. In ihrem dritten Buch nun erzählt sie von ihrem größten Abenteuer im Leben: die Liebe zu finden – denn alles Glück ist eben nur echt, wenn es geteilt wird. www.jakait.com

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