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Ilios Kotsou: Die kleine Schule der Achtsamkeit

Ilios Kotsou gibt uns seine kleine, lockere Schule der Achtsamkeit für ein neues Lebensgefühl an die Hand.

Der Mensch analysiert, bewertet, schätzt ab – Gefahl oder Glück, Freund oder Feind? Hat er schon in der Steinzeit gelernt. Und nun sollen wir unsere rationalen Fähigkeiten mal abschalten und unser inneres Radio auf Achtsamkeit umschalten. Der Psychologe Ilios Kotsou zeigt, wie wir bei Stress und hohen Anforderungen im Alltag gelassen bleiben. Dazu gibt er uns Übungen an die Hand, seine kleine, lockere Schule der Achtsamkeit für ein neues Lebensgefühl.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit (engl. mindfulness) ist eine Form der Aufmerksamkeit, die auf den gegenwärtigen Moment gerichtet ist. Für den Wissenschaftler Jon Kabat-Zinn bedeutet es, das Leben in all seinem Facettenreichtum anzunehmen, indem wir den nötigen Raum finden, um an Kraft wie auch an Weisheit wachsen zu können. Achtsamkeit bietet uns die Möglichkeit, uns Schritt für Schritt mit der Aufmerksamkeit vertraut zu machen und uns wieder mit all unseren Sinnen zu verbinden. Das sind wir aber nicht gewohnt. Wir sind ständig von automatischen Gedanken überflutet.
Der erste Schritt besteht darin, dass wir lernen innezuhalten.

1. Übung im Innehalten: Beobachte deine Erfahrung hier und jetzt. Welche Gedanken gehen dir gerade durch den Kopf? Wie fühlst du dich?

2. Übung: Liste Erstelle eine Liste all deiner Aktivitäten vom Zeitpunkt deines Aufwachens an bis jetzt. Für wie viele davon kannst du wirklich sagen, dass du sie ganz bewusst und geistig präsent (ohne an etwas anderes zu denken) ausgeübt hast? Wie zum Beispiel: Aus dem Bett aufstehen (Aktivität), dabei gedanklich aber meinen Tag geplant (gleichzeitig gedacht oder getan) oder die Schultasche meiner Kinder vorbereitet (Aktivität), dabei geschimpft, auf die Uhr gesehen (gleichtzeitig gedacht oder getan) Unser Geist neigt dazu, dauernd abzuschweifen und von einem Gedanken zum nächsten zu springen, und häufig folgen wir ihm. Unser Geist ist stets bereit, sich an jeden Reiz zu klammern. Wenn man seinen Geist nicht zur Ruhe bringt, ist es jedoch nahezu unmöglich, sich zu konzentrieren.

3. Übung: Unsere Gedanken: Versuche 4 Minuten und 30 Sekunden lang ein Bild zu betrachten, ohne dabei an etwas anderes zu denken, und schreibe auf, wie oft du gedanklich abgeschweift bist. Wie verhält es sich mit der auf unseren Körper gerichteten Aufmerksamkeit? Eines der nützlichsten Elemente, um uns mit dem gegenwärtigen Moment zu verbinden, ist unbestreitbar unser Körper. Aus welchem Grund? Unser Körper ist stets verfügbar und daher als “Stütze” für die Praxis sehr geeignet. Wir haben ihn immer dabei! Im Allgemeinen treten wir aber nur dann mit unserem Körper in Verbindung, wenn er uns Schmerzen bereitet. Von unseren Empfindungen abgekoppelt, merken wir nicht rechtzeitig, wie sich unsere Umwelt auf uns auswirkt. Es ist also wichtig für unsere Lebensqualität, dass wir lernen, wie wir wieder eine Verbindung mit unserem Körper herstellen können.

4. Übung: Die eigenen Körperhaltungen wahrnehmen: Spüre jetzt bewusst deine Haltung. Ändere sie nicht sofort. Wenn du sitzt, nimm jene Teile deines Körpers bewusst wahr, die die Sitzfläche und den Boden berühren. Gibt es angespannte Stellen? Beobachte mehrmals täglich deine Haltung, während du sitzt, und nimm sie bewusst wahr.

5. Übung: Eine alltägliche Aktivität achtsam erleben: Wähle eine alltägliche, “banale” Aktivität aus, wie zum Beispiel Zähne putzen. Achte darauf, wie du die Zahnbürste hältst. Nimm den Geschmack der Zahnpasta, die Beschaffenheit der Borsten bewusst wahr. Mach dir bewusst, wie schwierig es sein kann, auch nur drei Minuten “allein unter vier Augen” mit seiner Zahnbürste zu verbringen. Wenn dein Geist abschweift, kehre immer wieder zur Zahnbürste zurück. (Nahezu) automatisch analysieren wir Situationen, Erfahrungen und Personen, mit denen wir konfrontiert werden. Wir ordnen sie Kategorien zu, vergleichen und bewerten sie. Sehr oft beginnt unser Gehirn nicht nur eine Analyse, sondern zehn gleichzeitig. Das verbraucht nicht nur Energie, sondern mindert auch unsere Fähigkeit, wirklich gegenwärtig und achtsam zu sein. Infolgedessen engt es auch unsere Möglichkeiten ein, angemessen auf eine Situation zu reagieren. Eine Situation zu beobachten, so, wie sie ist, ohne sie zu beurteilen, das schafft neuen Freiraum. Diese Freiheit ist ein sehr gutes Hilfsmittel, um zum Beispiel zu entscheiden, ob eine Handlung oder ein Verhalten angemessen ist.

6. Übung: Zum besseren Verständnis von Bewertungen und Beobachtungen: Welche der nachfolgenden Sätze ist für dich eine Beobachtung oder ein Urteil? 1. Mein Nachbar mag mich wirklich nicht. 2. Gestern bin ich meinem Nachbarn auf der Straße begegnet und er hat mich nicht gegrüßt. 3. Ich bin zu dick. 4. Das ist wirklich ein bissiger Hund. 5. Der Baum im Garten ist 3,50 Meter hoch. 6. Ich wiege 95 kg. 7. Der Baum ist wirklich riesig. 8. Als ich den Hund bellen hörte, spürte ich, wie mein Herzschlag sich beschleunigte. (Antworten: 1, 3, 4, 5 = Bewertung, Urteil, 2, 6, 7, 8 = Beobachtung)

7. Übung: Bewusst handeln: Bleibe fünf Minuten lang dort, wo du jetzt bist. Nimm dir vor, dich nicht automatisch zu bewegen, weder um dich zu kratzen, noch um eine Fliege zu verscheuchen, noch um eine unbequeme Haltung zu ändern. Wenn du merkst, dass es dir an einer Stelle juckt oder kribbelt, registriere einfach, was geschieht. Spüre den Impuls, dich bewegen und kratzen zu wollen. Tu es aber nicht sofort. Warte etwas ab und beschließe dann, es zu tun. Beobachte die Bewegung deiner Hand. Wenn du willst, kratze dich dann ganz bewusst, mit Absicht. Der Modus, in dem wir uns am häufigsten befinden, ist der Handlungsmodus, der Modus des “Tuns”. Dieser Modus “funktioniert” mit Zielen, ist auf Ergebnisse hin orientiert. Der “Seinsmodus” funktioniert anders. Er hat kein anderes Ziel, als die Erfahrung des gegenwärtigen Moments voll und ganz auszukosten.

8. Übung: Tun oder sein: Wenn du dich das nächste Mal vor einer schönen Landschaft wiederfindst oder in einer Situation, die du sehr magst (ein Sonnenuntergang, ein Essen mit Freunden …), dann nimm dir vor, diesen Augenblick nicht im Foto festzuhalten. Sei vollkommen gegenwärtig, ganz da für die Landschaft, selbst wenn dieser Moment niemals wiederkehrt – dann erst recht! Achtsamkeit wird dir dabei von großem Nutzen sein: Nimm die Erfahrung bewusst und achtsam wahr, einfach so, wie sie ist, ohne etwas zu erwarten oder zu fordern. Du wirst sehen: Der Augenblick wird dadurch nur noch intensiver.

Buch-Tipp

Ilios Kotsou: “Das kleine Übungsheft ACHTSAMKEIT”(aus dem Französischen von Claudia Seele-Nymia). Illustriert von Jean Augagneur.
Verlag: Trinity Verlag
ISBN: 978-3-941837-95-9
www.die-kleinen-uebungshefte.de

Foto: Shutterstock

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