Die beglückende Erfahrung, von Amma umarmt zu werden.
Zu Tausenden strömen die Menschen in die Hallen, wenn Amma in Deutschland unterwegs ist. Alle wollen nur eines: Die beglückende Erfahrung, von Amma umarmt zu werden. Auch EM-Autorin Claudia Straub wollte diese Umarmung erleben.
Der Tag beginnt mit einer Meditation. Die Menschen, die sich vor der Bühne sitzend und kniend versammelt haben, rücken jetzt noch ein Stückchen weiter nach vorn, dahin, wo Amma sitzen wird. Und da kommt sie, die Frau, wegen der die Menschen aus allen Ecken des Landes angereist sind: Mata Amritanandamayi (=Mutter der unsterblichen Glückseligkeit), oder wie ihre Anhänger sie kurz und liebevoll nennen, Amma. Eine kleine, tatsächlich mütterlich wirkende Gestalt, die in ein schmuckloses weißes Gewand gehüllt ist. Durch die Besucher geht ein Ruck, man spürt förmlich, wie sich die Energie im Raum verändert. Wie gut, dass man die Möglichkeit hat, zur Ruhe zu kommen und ganz bei sich zu sein. Denn gleich nach der Meditation geht es los mit den Umarmungen.
In Indien empfängt Amma die Menschen zum Teil 24 Stunden lang ohne Pause, weltweit sollen es mittlerweile bis zu 29 Millionen Umarmungen geworden sein. Amma gilt als Mahatma, als erleuchtete Seele. Gerade mal vier Jahre lang ging sie in die Schule und wurde mit der Ehrendoktorwürde der New York State University ausgezeichnet. Pulitzerpreisträgerin Alice Walker sagt über sie: „Sie ist die heldenhafteste Person, die ich je getroffen habe. Weil sie hier sitzt und die Menschen umarmt. Jemanden erschießen ist nicht heroisch. Die mutigste Tat ist, sich um jemanden zu sorgen- und genau das tut sie“. Ja, das tut sie, die Frau, die eine millionenschwere karitative Stiftung ins Leben gerufen hat und nicht aufhört, die Menschen zu umarmen.
Ich darf Fragen stellen, während sie ununterbrochen weiter umarmt: Wie können wir hier im Westen die Spiritualität am besten in unser geschäftiges Leben integrieren? Sie dreht sich zu mir um und lächelt, dieses hinreißende Lächeln, das den Saal für einen Moment in strahlendes Licht taucht. „Wir vergessen ja auch nicht, zu essen oder zu schlafen, wenn wir sehr beschäftigt sind“, so Amma. „Und genauso sollten wir unser spirituelles Verständnis als festen Bestandteil in unser Leben integrieren. Angenommen, wir stecken in einem Verkehrsstau und finden eine andere Route, dann werden wir ja auch den besseren Weg nach Hause nehmen. Oder sagen wir, wir haben bereits zwei Kinder und erwarten ein drittes, dann werden wir auch nicht sagen, ich habe keine Zeit für ein Drittes, nein, wir werden dem dritten Kind genauso viel Liebe geben. Entspannung und das Leben in der Gegenwart, das ist Spiritualität.
Wir haben heute sehr viel Luxus unter uns, auch körperlichen Luxus. Und trotzdem können zum Beispiel Menschen, die in Villen leben und über ein klimatisiertes Schlafzimmer verfügen, nicht gut schlafen, wenn sie diese innere Ruhe nicht haben, weil sie so angespannt sind. Das beweist, dass äußerlicher Komfort allein nicht genügt, um uns ein glückliches Leben zu schenken, wir müssen unseren Geist klimatisieren.“ Amma predigt nicht nur, sie lebt es vor, meint der Inder Paul Sharma. Wenn du diesem Beispiel folgst, ändert sich dein Leben. Früher hatte er 600 Angestellte unter sich, heute ist er Küchenchef, wenn Amma mit ihrem riesigen Tross auf dem Globus unterwegs ist. Und dann, endlich, ist auch für mich der Moment gekommen: Amma möchte mich umarmen. Ganz fest drückt sie mich, streicht mir über den Rücken und murmelt „Meine Liebe, meine Liebe, Liebe, Liebe…“ Das Herzklopfen verschwindet, ich werde vollkommen ruhig.
Tränen steigen mir in die Augen. Alles in mir scheint weit zu werden, offen, weißes und goldenes Licht flutet durch meinen Körper. Als ich aufstehe, schwebe ich auf Wolken. Ammas Umarmung, sie hat auch mein Innerstes berührt.
Am 27. September 1953 erblickte in Kerala, Südindien, die kleine Sudhamani (der Geburtsname von Amma) das Licht der Welt. Die Tochter eines einfachen Fischers spielte nicht wie andere Kinder, sie meditierte, oft stundenlang. Als ihre Mutter krank wurde, musste sich die Neunjährige um den Haushalt und die sieben Geschwister kümmern. Sie wurde zu den Nachbarn geschickt, Essensabfälle holen. Dabei traf sie auf Menschen, die selbst bitter arm waren oder einsam und unglücklich. Das war der Moment, in dem sie anfing, anderen zu helfen. Sie nahm die Menschen in den Arm, die Trost suchten. Damit entfachte sie einen häuslichen Sturm, der irgendwann darin gipfelte, dass ihr Bruder sogar einen Messerstecher engagierte, um sie töten zu lassen. Denn diese Umarmung, die wir Europäer als liebevolle Geste betrachten, bedeutet in Indien eine kleine Revolution: Eine Frau umarmt fremde Männer, Menschen, die einer anderen Kaste angehören. Amma umarmt jeden und das bedeutet, alle Menschen sind gleich, bedingungslose Liebe in ihrer Reinform.
Aus der ursprünglichen Nachbarschaftshilfe entstand 1982 das erste Hilfswerk, die Stiftung „Mata Amritanandamayi Math“. Unter dem Dachverband „Die Welt umarmen“ werden wohltätige Organisationen in 25 Ländern betrieben, alles auf der Basis von Spenden und der Mitwirkung von Tausenden von ehrenamtlichen Helfern. Es gibt Umweltinitiativen, Katastrophenhilfe, Programme zur Stärkung von Frauen und zur Bekämpfung des Hungers. So flossen u.a. Sachspenden im Wert von 46 Millionen Dollar zur Unterstützung der Tsunami-Opfer, eine Million Dollar ging an die Opfer des Hurrikans Katrina. Im Namen Ammas wurden Waisenhäuser gebaut, eine hochmoderne Klinik eingerichtet und an der Amrita-Universität wird im Bereich Nano- und Biotechnologie, Robotik und Biomedizin geforscht. Für ihre umfangreichen karitativen Projekte wurde Amma mittlerweile mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Einmal im Jahr reist Amma,“the hugging saint“, wie sie auch genannt wird, quer über den Globus und umarmt Menschen in aller Welt.
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Foto: EM/ Archiv