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Rituale halten die Familie zusammen

Vielleicht gönnen Sie sich jeden Abend ein bisschen Zeit für ein Gespräch mit der Familie. Ohne Handy. Oder Sie umarmen in Gedanken am Morgen alle Menschen, die Ihnen begegnen werden und für die Sie dankbar sind. Der Bestsellerautor Pater Anselm Grün zeigt uns, wie wir gute Gewohnheiten in Rituale verwandeln können.

Heilsame Wirkung
Rituale schaffen eine heilige Zeit. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist. Die heilige Zeit gehört Gott und sie gehört mir. Keiner darf darüber verfügen. In ihr habe ich das Gefühl, dass ich selber lebe, anstatt gelebt zu werden. Es ist gut, den Tag mit einem Ritual zu beginnen und mit einem Ritual zu beschließen. Wenn ich jeden Morgen und jeden Abend eine heilige Zeit habe, die ich genießen kann, weil sie mir gehört, wird auch die übrige Zeit nicht zum Hamsterrad werden. Die Griechen sagen: Nur das Heilige vermag zu heilen. Rituale sind daher immer auch heilende Rituale. Sie tun mir gut. Ein anderer Aspekt: Rituale verbinden uns mit den Wurzeln unseres Lebens und unseres Glaubens. Meine Mutter hat im Alter bewusst die Rituale gepflegt, die sie von ihren Eltern und Großeltern kannte. Das hat ihr das Gefühl gegeben: Ich bin nicht allein in meinem Alter, ich werde nicht allein sterben. Ich bin getragen vom Glauben meiner Eltern und Großeltern und meiner verstorbenen Geschwister. Ich habe Anteil an ihrer Liebe, an ihrer Kraft. Das hat ihr Vertrauen geschenkt, ihr Leben gut zu leben, trotz aller Altersbeschwerden. Die Rituale haben ihr die Angst genommen vor dem Altwerden und Sterben.

Was ist ein kluges Ritual?
Es geht nicht darum, sich unter Leistungsdruck zu setzen und möglichst viele Rituale zu vollziehen. Aber wir sollten uns etwa fragen: Wie möchte ich meinen Tag beginnen? Und wie möchte ich gerne den Tag beschließen. Die Verhaltenspsychologie sagt. Ob wir ein Ritual durchführen oder nicht, ist nicht Sache der Willensstärke und der Disziplin, sondern Sache der Klugheit. Ich soll also überlegen: Worauf habe ich Lust am Morgen oder am Abend? Was würde mir guttun? Und was ist realistisch? Wenn ich mir Rituale vornehme und sie dann wieder sein lasse, dann sollte ich mich fragen: War es denn das richtige Ritual? Woran könnte ich das Ritual anbinden, damit es zur Selbstverständlichkeit wird? Wenn ich mir etwa vornehme, den Morgen mit einem Segensritual zu beginnen, dann könnte ich mich fragen: Womit verbinde ich dieses Ritual? Vielleicht ist es am besten, wenn ich allein im Badezimmer bin, eine Minute lang nach dem Duschen die Hände zu erheben und meine Familie zu segnen und alle Menschen, mit denen ich heute zu tun habe. Das dauert nicht lange. Aber ich werde, wenn ich das tue, den Tag anders beginnen. Und es kann zu einer guten Gewohnheit werden, das Duschen mit dieser Gebärde und diesem Ritual zu beenden.

Innerer Frieden
Am Abend kommen viele nicht zur Ruhe, weil sie sich ständig fragen: Hätte ich mich doch anders entschieden, hätte ich mich doch anders verhalten. Wäre ich doch im Gespräch mit meiner Tochter freundlicher und achtsamer gewesen. Dann wäre es ein gutes Ritual, vor dem Zubettgehen für eine Minute die Hände in Form einer Schale vor sich zu halten und den Tag Gott zu übergeben. Ich höre dann auf, nachzugrübeln, ob alles richtig war. Ich überlasse den Tag Gott. Den Tag kann ich sowieso nicht mehr ändern. Aber Gott kann das Vergangene in Segen verwandeln. Er vermag auch ein nicht optimal geführtes Gespräch noch in Segen zu verwandeln. Und in diesem Bewusstsein kann ich dankbar auf den vergangenen Tag schauen. Es gibt immer Grund genug, für etwas dankbar zu sein. Ich brauche nur einen anderen Blick, um am Abend das zu entdecken, für das ich dankbar sein kann. Das gibt mir inneren Frieden.

Ungute Gewohnheiten
Rituale können zur guten Gewohnheit werden. Aber es gibt auch ungute Gewohnheiten. Wenn ich etwa abends dreimal kontrolliere, ob die Haustüre verschlossen ist, dann wird so eine Gewohnheit leicht zum Zwang, mit dem ich mir selbst schade. Oder aber ich habe die schlechte Gewohnheit, abends den Fernseher einzuschalten, herumzuzappen, dabei noch ein Bier zu trinken und dabei etwas zu knabbern. Dann werde ich irgendwann erkennen, dass es mir nicht guttut – meiner Gesundheit und auch meiner Seele nicht. Ich gehe dann nicht entspannt ins Bett. Das, was ich durch die Zerstreuung unterdrückt habe, wird sich im Traum wieder zu Wort melden, und ich werde unruhig schlafen. Aber gegen diese schlechte Gewohnheit soll man nicht einfach ankämpfen. Der erste Schritt, davon loszukommen, ist, sich zu fragen: Welche Sehnsucht steckt hinter dieser Gewohnheit? Was möchte ich damit erreichen? Vermutlich möchte ich abschalten und zur Ruhe kommen. Aber die Frage ist, ob das der richtige Weg ist. Oder ob ich dadurch nicht nur etwas zudecke, was ich bewusst anschauen sollte. Ich sollte dann fragen: Welche andere Gewohnheit könnte ich an diese Stelle setzen, die das Ziel des Abschaltens und Zur-Ruhe-Kommens besser erreicht?

Auf dem Prüfstand
Rituale und Gewohnheiten sollten von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand kommen: Sind sie noch hilfreich oder werden sie eher zu einer Belastung? Das gilt auch für unsere Familienrituale in der stilleren, besinnlicheren Zeit. Manchmal haben sich gerade diese gut eingefahrenen Rituale ihres Sinnes entleert. Sie werden weitergeführt, weil man sich von ihnen eine gute Stimmung erwartet. Aber wenn sie ihren Sinn verloren haben, dann werden sie eher Frustration bewirken. Daher ist es wichtig, nicht nur über die Art und Weise der Rituale, sondern auch über ihren Sinn nachzudenken. Wenn wir unseren Ritualen bewusst einen Sinn geben, dann werden sie auch wieder heilsam sein für uns selbst und für die Familie.

Entdecke deine tiefste Sehnsucht

Entdecke deine tiefste Sehnsucht

Setze dich am Abend vor eine brennende Kerze und halte beide Hände in die Herzmitte. Dann schließe die Augen und stelle dir die Frage: „Was ist meine tiefste Sehnsucht?“ Warte einige Augenblicke, ob eine Antwort in dir hochsteigt oder ob nur eine Ahnung erkennbar wird. Stelle dir immer wieder diese Frage: „Was ist meine tiefste Sehnsucht?“ Die Frage wird dich in dein Inneres führen, in den Grund deiner Seele. Und vielleicht spürst du dann: Meine tiefste Sehnsucht ist, Liebe zu sein. Aber auch wenn sich deine Sehnsucht nicht in Worte fassen lässt, wirst du durch diese Übung mit dem Grund deiner Seele in Berührung kommen. Und du wirst dich selbst auf neue Weise spüren. In der Sehnsucht wirst du Gottes Spur in dir spüren können. Setze dich nicht unter Druck, dass du etwas Besonderes spüren musst. Aber trau dir zu, mindestens 15 Minuten lang durch das beständige Fragen nach deiner Sehnsucht immer tiefer in das eigene Innere vorzudringen.

Über den Autor

Über den Autor

Pater Anselm Grün, geb. 1945, Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, geistlicher Begleiter und Kursleiter in Meditation, Fasten, Kontemplation und tiefenpsychologischer Auslegung von Träumen. Seine Bücher zu Spiritualität und Lebenskunst sind weltweite
Bestseller – in über 30 Sprachen. Sein einfachleben- Brief begeistert monatlich zahlreiche Leser (www.einfachlebenbrief.de).

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