Wie wird Bhakti Yoga, die liebevolle Hingabe zu Gott, in Indien gelebt? Eine Pilgerreise zur Hingabe.
„No sex in public places“, ist die energische Aufforderung, uns bitte weiter voneinander entfernt und nicht küssend auf die Tempelstufen zu setzen. Während indische Männer das Thema sehr ernst zu nehmen scheinen, kichern indische Frauen verlegen und werfen uns verstohlene Blicke zu. In der Raganuga Sampradaya, einer Traditionslinie des Vaishnavismus, in der auf natürliche Art und Weise Regeln gefunden werden, hingebungsvoll gegenüber Krishna zu sein, wird immer betont, wie wichtig es sei, Krishna im Gegenüber zu lieben, zu verehren und zu dienen. Tun wir das nicht, wenn wir küssend auf den Tempelstufen sitzen? Jeder Pilgerreise liegt eine Frage zugrunde.
15 Yoginis und Yogis aus Deutschland machen sich gemeinsam auf die Suche nach Antworten. Begleitet von Devendra Binwal, einem Reiseführer aus dem Himalaya, der sich aus Sorge, die Affen könnten ihm seine Brille klauen, jeden Tag ein rotes Tuch um den Kopf bindet. Was wir suchen, ist unterschiedlich. Während der eine mehr zu sich finden möchte, sucht die andere echte Begegnungen mit Einheimischen. Andere möchten einfach nur chanten, sich überraschen lassen. Und damit kann Indien mehr als dienen.
Jeden Morgen wachen wir zu den heiligen Gesängen, Glocken oder dem schrofferen, aber nicht weniger hingebungsvollen „Rambole!“ eines Bhaktas, deren morgendlicher Weg direkt an unserem Ashram vorbeiführt, auf. Noch vor Sonnenaufgang dreht sich alles um Gott. Die ersten Gläubigen nehmen ein heiliges Bad in der Ganga, andere sitzen tief versunken in Meditation auf den Hausdächern, während die Sonne in einem warmen safran-gelb im Morgennebel gehüllt über die Berge und Tempel steigt. Besonders in diesen zarten Stunden ist das Mysterium, was Indien so faszinierend macht, intensiv spürbar. Man fühlt sich wie in einem Märchen, möchte abtauchen, mit chanten, oder in Meditation still daneben sitzen. Fühlen, wie sich Hingabe anfühlt.
So sehr Indien mit allem Visuellen verzaubern mag, so ist es doch das Hören und Fühlen, was uns das wahre Indien erleben lässt. Über Vrindavan, der Stadt Krishnas, sagt man, dass man das wahre Vrindavan nur mit den Ohren sehen kann. Hören kann uns zur Hingabe inspirieren. Nur wenn wir das Göttliche wieder in der Mitte unserer Reise verehren, können wir Zugang zum wahren Indien finden. Wie? Indem wir chanten, alles dieser größeren Liebe darbringen, uns anvertrauen.
Im Vaishnavismus spricht man von „Krishnas Lila“, Krishnas göttlichem Spiel. Sich dem vollends anzuvertrauen ist die große Kunst, die unter anderem Bhakti Yoga ausmacht. Wenn der perfektionistische, kleine Geist in der Illusion der Kontrolle ist, darf durch Bhakti Yoga Freude über Krishnas Arrangement unser gewohntes Weltbild ersetzen. Der Weg zu moksha, der Befreiung, nach der Yogis in der Shankaracharya Tradition, streben, geht oft über Askese. Das ist in Rishikesh, der Stadt des Hatha Yoga, deutlich spürbar. Immer wieder hört man Geschichten über tapasyas, strenge Übungen der Enthaltsamkeit, um letztendlich das große Ziel, die Erleuchtung und damit die Befreiung vom Rad der Wiedergeburt, zu erreichen. Vorbild dabei ist immer wieder Shiva. Der Uryogi, der den Menschen den Yoga schenkte. Zu seinen Füßen, am Rande des Himalaya üben wir jeden Morgen Hatha Yoga. Mal kraftvoll energetisch, mal sanft und einfühlsam. Jeden Abend sitzen wir am Ufer der Ganga und erleben die Lichterzeremonie hautnah. Beim Feuerritual wird gechantet, rezitiert, während Kräuter und Gewürze in die Flammen geworfen werden.
Was vielen von uns neu ist, ist, dass es über moksha hinaus ein größeres Ziel gibt: Prema, reine Liebe zum Göttlichen. Liebe, die sich selbstlos verschenkt und immer wieder Beziehung zum Göttlichen sucht. Die dabei entstehende Glückseligkeit ist unendlich, während die weltliche Freude endlich ist. Während es beim Streben nach moksha primär um Erfahrung geht, geht es bei prema ums selbstlose Dienen.
Deshalb ist ein wichtiger Teil dieser Pilgerreise der Besuch von Hilfsprojekten wie Ramana’s Garden, eine Schule für Waisenkinder in Rishikesh, Care for Cows, ein Gnadenhof für Straßenkühe und die Sandipani Muni School in Vrindavan, die nicht nur Mädchen eine Schulausbildung ermöglicht, sondern auch Witwen Arbeit gibt, Essen an die Ärmsten verteilt, Vrindavan vom Müll befreit die Bevölkerung diesbezüglich aufklärt und einiges mehr. Orte wie der Vrinda Kunja Ashram sehen es als einen der wichtigsten Dienste, und damit als einen der wichtigsten Aspekte des Bhakti Yoga, die Natur als Ausdruck von Radhas und Krishnas Liebe durch respektvolle Sauberkeit zu verehren. Orte wie dieser inspirieren uns hoffentlich, auch zuhause weiterzumachen, liebevoll, achtsam und unterstützend gegenüber allen Lebewesen zu sein.
Nach einer Weile verlassen wir Indien, aber verlässt uns Indien? Hermann Hesse sagt dazu so treffend: „Wer einmal nicht nur mit den Augen, sondern mit der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt es ein Heimwehland.”
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Fotos: Ben Vogt