Die Geschichte mag wohl fast 50 Jahre alt sein, und ist als Familienanekdote bekannt, die meine Oma immer wieder erzählte.
Sie war eine sehr gläubige Frau, was sich auch darin zeigte, dass sie regelmäßig zur Messe ging, mehrmals die Woche. Und weil ich als kleines Mädchen viel Zeit bei ihr verbrachte, begleitete ich sie stets dabei. Meine Begeisterung darob hielt sich wohl in Grenzen – dennoch, die kleine Barockkirche hat mich sehr gefesselt und ich liebte die vielen bunten Deckenmalereien.
Nach der Messe ging meine Oma mit mir stets zum Pfarrer, damit er mich segnete, und als er mich dabei einmal fragte, warum ich denn während der Messe immer nach oben sähe, antworte ich, indem ich fragte: „Warum haben die Menschen da oben Flügel? Sie sind doch keine Vögel?“
Ich kann mich sehr gut an seine Antwort erinnern: „Das sind die Engel. Sie haben Flügel, weil sie für die Menschen zum lieben Gott fliegen, ihm die Bitten und Anliegen der Menschen vorbringen, und für den lieben Gott dann wieder zu den Menschen zurückfliegen und seine Antworten und Unterstützung überbringen.“
Diese Vorstellung hat mir als Kind gefallen, und ich kann mich noch gut an meine kindlichen Gedanken erinnern: wie ich mir überlegte, was am Anfang war, ob da Menschen waren, denen Flügel gewachsen sind – oder ob der liebe Gott die Engel ähnlich wie Menschen aussehen ließ, damit die Menschen keine Angst vor ihnen haben. Seit damals haben mich Engel begleitet. Immer wenn ich als Kind eine Frage, einen Wunsch oder eine Bitte an den lieben Gott hatte, rief ich einen Engel. Der dann auch kam. Und ich sah, wie er mir zuhörte und dann verschwand, um zum lieben Gott zu fliegen, um bald darauf wieder zurückzukommen und mir eine wichtige Nachricht zu überbringen. So wurden mir die Engel liebevolle Gefährten meiner Kindheit. Meine Schulzeit im Kloster begünstigte dieses Erleben, denn die Kirche, Beten und der liebe Gott gehörten weiterhin zu meinem Alltag. Die Engel waren meine Freunde. Ich konnte sie jederzeit rufen, ich war nie allein. Einsamkeit, Verzweiflung, Unsicherheit und Ängste waren oft schnell gelöst, denn die Engel haben mich unterstützt. Nach Außen wirkte ich wie ein scheinbar introvertiertes Kind, das viel alleine gespielt hat – doch so war es nicht, denn ich hatte ja damals schon meine Engel.
Als ich dann älter geworden bin, mochte ich auf dieses vertraute Ritual nicht mehr verzichten. Als Jugendliche sprach ich nicht mehr darüber, und so blieben die Engel meine geheimen Begleiter über all die Jahre. Beim ersten Liebeskummer, beim Streit mit dem zu strengen Vater, beim Scheidungskrieg der Eltern – die Engel waren immer an meiner Seite.
Jahre später, als sich plötzlich ein Engel-Trend ausbreitete, Buchhandlungen, sogar Schmuckläden erfasste, war ich beinahe erleichtert. Meine eigene kindliche Geschichte wurde gesellschaftsfähig, ich durfte über mein Leben mit meinen Engeln erzählen und schreiben. Bis heute ist mein Verhältnis zu den Engeln dasselbe geblieben. Bewegt oder beschäftigt mich etwas, beginne ich einen inneren Dialog. Es ist für mich so selbstverständlich, mit Engeln zu kommunizieren, dass ich dazu weder ein spezielles Ritual noch eine spezielle Umgebung brauche – es ist wie in Gedanken mit sehr guten, stets wohlgesonnenen Freunden zu reden, die jederzeit für mich da sind. Selbst dann, wenn ich nicht danach frage. Oder sie rufe. Oft geschieht es, dass in einer bestimmten Situation, die mich vielleicht gerade fordert, mir ungefragt diese bekannte innere Stimme zuraunt und mich ermahnt: „Gelassen bleiben!“ Und schon spüre ich diese beruhigende Energie, als hätte jemand innerlich auf den Knopf gedrückt. Oder wenn ich manchmal in einer bestimmten Situation gerade nicht weiß, was oder wie ich etwas tun soll, wenn ich ein eben Fragezeichen in mir trage, dann kommt direkt ein inneres Bild mit einer Ermutigung auf mich zu, die mir Klarheit schenkt, ohne dass ich eigentlich danach gefragt habe. Es fühlt sich nach Teamarbeit für das Leben an, das Miteinander zwischen den Engeln und mir. So sind mir die Engel nach wie vor liebgewonnene Gefährten und Freunde. All die vielen Jahre schon.